Befangenheitsperspektive des Angeklagten entscheidet
Es geht bei der Ablehnung eines voreingenommenen Richters allein um die „Besorgnis“ der Befangenheit. Daher ist diese ist nicht aus der Perspektive des abgelehnten Richters sondern allein aus der Sicht eines besonnenen Angeklagten zu beurteilen (BGH, Az. 1 StR 574/03, Urteil vom 02.03.2004).
Entscheidung über die Befangenheit
Eine sachliche Entscheidung über die Ablehnungsanträge muss gemäß § 27 StPO ohne die abgelehnten Richter, unter Berücksichtigung ihrer dienstlichen Stellungnahmen gemäß § 26 Abs. 3 StPO, getroffen werden. Wird dieses Procedere missachtet, begründet das für sich genommen bereits die Besorgnis der Befangenheit. (BGH, Az. 3 StR 367/09, Beschluss vom 17. Dezember 2009)
Beteiligung des Richters an früheren Strafverfahren
Die Mitwirkung an einem früheren Strafverfahren, in dem dieselben Vorgänge eine Rolle gespielt haben können, rechtfertigt für sich genommen noch keinen Befangenheitsantrag. Befangenheit kann dann vorliegen, wenn zusätzlich besondere Umstände hinzutreten, z.B. überflüssige und sachlich unbegründete Werturteile über den Angeklagten (BGH 2 StR 533/14, Urteil vom 10.02.2016; BGHSt 24, 336, 338); BGH, Az. 5 StR 154/06, Beschluss vom 13.07.2006; so auch BGHSt 15, S. 40, 46; NStZ 1985, S. 492.
Kritik eines Richters an der Meinung des Bundesgerichtshofs
Vertritt ein Richter eine rechtliche Meindung, die der Bundesgerichtshof nicht teilt, rechtfertigt dies für sich genommen noch nicht die Annahme der Befangenheit.
Zusicherung einer Geständnisbelohnung des Gerichts am ersten Verhandlungstag
Die Zusicherung des Gerichts an einen Mitangeklagten, er könne bei einem „umfassenden, glaubhaften Geständnis“ mit einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren rechnen, rechtfertigt für sich genommen noch nicht die Besorgnis der Befangenheit. (BGH, Az. 2 StR 455/09, Urteil vom 30.06.2010)
Werden jedoch zusätzlich Beweisanträge abgelehnt, die die Glaubwürdigkeit solcher Geständnisse des Mitangeklagten in Frage stellen sollen, und sodann die Verfahren abgetrennt und ohne weitere Beweisaufnahme durch Urteil entschieden, begründet das die Besorgnis der Befangenheit (BGH, Az. 2 StR 455/09, Urteil vom 30.06.2010).
Richterlicher Unverstand kein Ablehnungsgrund
Unvorsätzliche Verfahrensfehler von Richtern begründen keine Befangenheit, da es nicht um die Kenntnisse oder Intelligenz, sondern allein um die Sorge um die Parteilichkeit eines Richters geht, der Befangenheitsantrag ist kein Instrument der Rechtsfehlerkontrolle (KG MDR 2005, 703; OLG Frankfurt, Az. 3 U 217/02, Beschluss vom 22.12.2003).
Äußerungen des Richters, die einen Befangenheitsantrag begründen können
- Richterliche Äußerungen an mehreren Verhandlungstagen wie „Sie wären der erste Albaner, der sich seine Frau nicht zurechtschnitzt“, „Es ist bei Albanern keine Seltenheit, daß sie im Falle der Bedrohung ein Messer ziehen“ und „seine Landsleute“ legten „sehr ungern Geständnisse ab“ können zusammengenommen die Besorgnis des Angeklagten über eine ungerechte Tendenz des Gerichtes rechtfertigen. (BGH, Az. 1 StR 574/03, Urteil vom 02.03.2004)
- Verhalten des Richters vor der Hauptverhandlung, der zum Ausdruck bringt, er sei bereits vorher von der Schuld des Angeklagten überzeugt. (BGH, Az. 1 StR 169/02, Beschluss vom 10. 9. 2002)
- Ein Schöffe, der sich offen zur Selbstjustiz und zur Durchsetzung von Forderungen mittels Gewaltandrohung bekennt, begründet regelmäßig Zweifel an seiner Rechtstreue und gilt damit als Befangen (BGH Az. 2 StR 595/09, Urteil vom 28. April 2010)
- „Der Weg, den Sie gehen, ist falsch !“, gegenüber einer Zeugin, die von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen möchte, begründet die Besorgnis des Angeklagten zu einer Belastungstendenz des Richters. Denn ein Zeuge, dem nach § 52 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, kann nach seinem Ermessen entscheiden, ob er davon Gebrauch machen will oder nicht. Jede Einwirkung auf ihn in dem Sinne, dass er von seinem Recht keinen Gebrauch machen solle, wäre für den Richter ein Eingriff in diese Entschlussfreiheit und ist ihm daher nicht gestattet. (BGH, Az. 3 StR 48/50, Urteil vom 09.02.1951)
- „Ich habe jetzt keine Zeit, mich mit solchen Kinkerlitzchen aufzuhalten“, als Einwand dagegen sich mit Einwänden und Anträgen der Verteidigung auseinanderzusetzen, begründet die Besorgnis der Befangenheit (OLG Hamburg, Az. 7 W 10/92, Beschluss vom 23.03.1992)
Androhung ein Ermittlungsverfahren einzuleiten /Weitergabe der Akte an die Staatsanwaltschaft
Anlaß zur begründeten Besorgnis der Befangenheit war zudem folgende Äußerung eines Amtsrichters, die durch zwei Beschwerdeinstanzen ging und schließlich vor dem Bundesverfassungsgericht landete, Ziate aus BVerfG 2 BvR 615/11:
Der Richter habe sich einleitend sinngemäß wie folgt geäußert: „So Herr K., ich habe zwei Verfahren bei mir. Da ist ein Verfahren wegen einer Arztrechnung, in dem sie ähnlich argumentieren wie hier. Da fragt man sich schon, ob sie bei der Beauftragung ordnungsgemäß vorgehen.“ Auf Vorhalt des Prozessbevollmächtigten, die Erörterung auf den heutigen Fall zu beschränken, hatte der Richter einschüchternd geäußert, dass er ernsthaft erwäge, die Angelegenheit der Staatsanwaltschaft vorzulegen, weil der Beschwerdeführer von vornherein vorgehabt haben könnte, nicht zu bezahlen – Verdacht des Betruges zur kostenlosen Erlangung einer Leistung. Tatsächlich waren die beiden Fälle, auf die der Richter Bezug genommen habe, aber nicht vergleichbar; der Beschwerdeführer argumentiere in den beiden Rechtsstreitigkeiten unterschiedlich.
In seiner dienstlichen Stellungnahme zum Befangenheitsantrag gab der abgelehnte Richter an, den Beschwerdeführer darauf hingewiesen zu haben, dass sich im Hinblick auf die beiden Verfahren zwar der Eindruck ergeben könnte, der Beschwerdeführer gehe vertragliche Verpflichtungen ein, ohne die sich hieraus ergebenden finanziellen Verbindlichkeiten erfüllen zu wollen, und dass sich das Gericht deswegen ausdrücklich die Weiterleitung der Akten an die Staatsanwaltschaft vorbehalte. Dies begründe jedoch nicht die Besorgnis der Befangenheit, sondern stelle lediglich die Ankündigung dessen dar, wozu das Gericht nicht nur berechtigt, sondern nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens verpflichtet wäre.
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Amtsgericht und Landgericht haben angenommen, dass eine Strafanzeige gegen den Beschwerdeführer in Betracht komme, und insoweit auf das Recht und die Pflicht des Richters zur Erteilung von Hinweisen nach § 139 ZPO abgestellt und den Richter für unbefangen gehalten. Beide Gerichte haben es dabei jedoch in Verkennung der verfassungsrechtlichen Anforderungen unterlassen, die Umstände des Einzelfalles zu prüfen. Insbesondere haben sie weder die Form der Äußerung des abgelehnten Richters in Erwägung gezogen, noch haben sie die vom abgelehnten Richter gegenüber dem Beschwerdeführer gegebene Begründung für den behaupteten Verdacht einer näheren Prüfung unterzogen.
Der bloße Verweis auf die Lektüre der Akten, die den Verdacht nahelege, der Beschwerdeführer nehme entgeltliche Dienste Dritter in Anspruch, ohne diese bezahlen zu wollen, war jedenfalls unter den gegebenen Umständen offensichtlich unzureichend für eine objektive Beurteilung des Richters. Weshalb allein der Umstand, dass ein Verfahrensbeteiligter in mehr als einem Fall einer von Dritten wegen erbrachter Leistungen gegen ihn erhobenen Forderung entgegentritt, einen Straftatverdacht begründen soll, der eine richterliche Pflicht zu entsprechendem Hinweis auslösen und es damit zugleich rechtfertigen könnte, Strafanzeige gegen den Verfahrensbeteiligten zu erstatten oder ihm dies in Aussicht zu stellen, erschließt sich nicht einmal ansatzweise.
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In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist zwar anerkannt, dass die Erstattung einer Strafanzeige gegen eine Partei oder deren Ankündigung durch einen Richter nicht ohne weiteres die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt, weil das Gesetz selbst die Erstattung einer Anzeige durch das Gericht ermöglicht (§ 149 ZPO) und in einigen Fällen auch verlangt (§ 183 GVG). Anerkannt ist aber auch, dass sich aus den konkreten Umständen der Anzeigeerstattung oder deren Ankündigung die Besorgnis der Befangenheit ergeben kann. Nach herrschender Auffassung stellt das Erstatten einer Strafanzeige nur dann keinen Befangenheitsgrund dar, wenn der Richter zuvor die vorhandenen Verdachts- und Entlastungsumstände sorgfältig abgewogen und der Partei Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat.
(BVerfG, Az. 2 BvR 615/11, Beschluss vom 25. Juli 2012)
„Eigenes Interesse“ eines Richters am Ausgang des Prozesses
Misstrauen gegen die Unvoreingenommenheit eines Richters ist unter anderem dann gerechtfertigt, wenn objektive Gründe dafür sprechen, dass er auf Grund eines eigenen – sei es auch nur mittelbaren – wirtschaftlichen Interesses am Ausgang des Rechtsstreits der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenübersteht.
Der Anschein fehlender Unparteilichkeit kann auch dann bestehen, wenn der Richter gegen eine Prozesspartei Klage und darin den Vorwurf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung erhoben hat, sofern dieses Verfahren noch andauert oder noch nicht lange Zeit zurückliegt; mit der Beteiligung an einem solchen Verfahren nimmt der Richter gegenüber dieser Partei keine neutrale Haltung ein, sondern erscheint als deren Gegner.
(BGH Beschluss vom 17.06.2021 – III ZR 315/20)
Wann läuft die „Unverzüglichkeitsfrist“ für einen Befangenheitsantrag an?
Grundsätzlich läuft die Frist mit Kenntnis des Befangenheitsgrundes und der Möglichkeit diesen in der Verhandlung vorzutragen.
Bekannt ist der Partei nur derjenige Befangenheitsgrund, den sie positiv kennt; fahrlässige Unkenntnis genügt ausweislich des klaren Gesetzeswortlauts nicht (vgl. OLG München, NJW 2014, 3042, juris Rn. 22; BayObLG, MDR 1978, S. 232; Vossler, MDR 2007, 992; aA OLG Saarbrücken, FamRZ 2010, 484). Die Kenntnis des Ablehnungsgrundes umfasst zum einen die Person des mit der Sache befassten Richters und zum anderen die Kenntnis der Tatsachen, die die Besorgnis der Befangenheit begründen (OLG Frankfurt, OLGR Frankfurt 2001, 169, juris Rn. 7; Zöller/Vollkommer, ZPO, 33. Aufl., § 43 Rn. 3 jeweils mwN). Dabei ist der Partei das Wissen ihres Prozessbevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen (OLG Hamburg, MDR 1976, S. 845). Eine Zusammenrechnung des Wissens der Partei einerseits und des Prozessbevollmächtigten andererseits findet allerdings nicht statt. Dementsprechend ist es nicht ausreichend, wenn der Prozessbevollmächtigte zwar die Namen des Richters kennt, nicht aber die Beziehung dieses Richters zur Partei, die die Besorgnis der Befangenheit begründet, während die Partei zwar diese Beziehung kennt, aber nicht weiß, dass gerade dieser Richter zur Mitwirkung an der Entscheidung berufen ist (Stackmann in MünchKommZPO, 6. Aufl., § 43 Rn. 3).
(BGH, Beschluss vom 15. September 2020 – VI ZB 10/20)
Erklärung eines Richters: „Die Wahrheit interessiert mich nicht.“
Erklärung des auf eine wiederholte Aufforderung der Verteidigung einem Beweisthema nachzugehen: „Die Wahrheit interessiert mich nicht.“ rechtfertigt den Vorwurf der Befangenheit; interessanterweise musste das erst das Bundesverfassungsgericht feststellen; während der Landgericht Chemnitz und das OLG Dresden ind en Vorinstanzen die Bemerkung des Richters als gar nicht so schlimm ansahen.
Zitat aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts:
„Mit der Äußerung, auf die sich der Befangenheitsantrag der Beschwerdeführerin bezog, hat der Richter nicht nur Unmut über ein Verhalten ihres Bevollmächtigten zum Ausdruck gebracht, sondern zugleich bekundet, dass er an der Erfüllung einer wesentlichen richterlichen Amtspflicht nicht interessiert sei. Der zivilprozessuale Beibringungsgrundsatz macht es zwar zur Sache der Parteien, die notwendigen Tatsachenbehauptungen aufzustellen und Beweismittel zu benennen, und beschränkt insoweit die Aufgabe des Richters, den Sachverhalt zu erforschen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 2008 – IX ZB 137/07 -, NZI 2008, S. 240 <241>). Er bedeutet aber ebenso wenig wie andere Beschränkungen der Pflicht zur Ermittlung und Berücksichtigung von Tatsachen – wie sie, etwa im Interesse der Verfahrensbeschleunigung, auch im Ansatz vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägte Verfahrensordnungen kennen -, dass den Richter die Wahrheit grundsätzlich nicht zu interessieren hätte. Auch der Zivilrichter ist nach Maßgabe der anwendbaren Verfahrensordnung, seinem Amtseid gemäß, verpflichtet, der Wahrheit zu dienen (§ 38 Abs. 1 DriG).
…
Nachdem der Richter sich geweigert hatte, einen Beweisantrag und weitere Äußerungen des Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin in das Protokoll aufzunehmen, und dieser deshalb dem Richter vorgehalten hatte, es sei seine Aufgabe, die Wahrheit zu erforschen, stellte die daraufhin an den Bevollmächtigten gerichtete Äußerung des Richters, die Wahrheit interessiere ihn nicht, keinen bloßen Hinweis auf die zivilprozessrechtlichen Grenzen der richterlichen Pflicht zur Sachverhaltsermittlung dar. Unter diesen Umständen war die Annahme des Landgerichts, die Äußerung begründe keine Ablehnung, weil sie beide Parteien gleichermaßen beschwere, unvertretbar. Die grob unsachliche Äußerung des Richters war eindeutig als zurückweisende Reaktion auf ein vom Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin vorgebrachtes Anliegen erfolgt und daher offensichtlich geeignet, den Eindruck einer Voreingenommenheit gerade nach dieser Seite hin zu erzeugen. Erst recht ist die Annahme des Oberlandesgerichts nicht tragfähig, die Äußerung sei hinzunehmen als Reaktion auf eine sachwidrige Beeinflussung durch den Beklagtenvertreter, der die Pflicht zur Wahrheitsfindung als Druckmittel eingesetzt habe, um den Richter zur Anhörung des Zeugen zu bewegen.“
(BVerfG, Urteil vom 12. Dezember 2012, Az. 2 BvR 1750/12)
Fehlender Bereitschaft sich mit Sachvortrag auseinanderzusetzen
Mit Terminsverfügung hatte der Vorsitzende Richter den Beklagten u. a. geraten, „lediglich insoweit vorzutragen, wie dies ihrer Rechtsverteidigung dienlich sein soll!“ Das Gericht habe „weder Zeit noch Lust, sich mit Sachvortrag zu befassen, der unerheblich ist“. Weiter heißt es in den Hinweisen: „Im Übrigen könnte es der Rechtsfindung dienen – und der Arbeitsersparnis -, wenn Sachvortrag unterbleibt, der rechtlich völlig unerheblich ist (§ 128 HGB)“.
Der Vorsitzende erklärte dazu, er habe nur darauf hingewiesen, dass das bisherige Vorbringen nach seiner Beurteilung Unerhebliches enthalte. Er habe die Beklagten aufgefordert, Erhebliches vorzutragen. Hierzu sei er gemäß § 139 ZPO verpflichtet.
Das OLG Naumburg befand selbstverständlich den Befangenheitsantrag für begründet und urteilte wie folgt:
„Mit dem Anraten an die Beklagten, „lediglich insoweit vorzutragen, wie dies ihrer Rechtsverteidigung dienlich sein soll!“ und den konkreten Hinweisen, dass das Gericht „weder Zeit noch Lust (habe), sich mit Sachvortrag zu befassen, der unerheblich ist“ und dass „es der Rechtsfindung dienen (könnte) – und der Arbeitsersparnis -, wenn Sachvortrag unterbleibt, der rechtlich völlig unerheblich ist (§ 128 HGB)“ hat der abgelehnte Richter das richterliche Vertrauensverhältnis auch nach dem Urteil einer verständigen Partei in nicht mehr hinzunehmender Weise verletzt.
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„Der Inhalt der Hinweise ist dabei geeignet, Druck auf die Beklagtenseite auszuüben, doch abzuwägen, welcher künftiger Vortrag den Vorsitzenden weiter verärgern könnte. Dies müssen die Beklagten nicht hinnehmen. Sie könnten Vorbringen für rechtlich erheblich halten, ohne dass der Richter ihre Rechtsansicht hierzu teilt.“
(OLG Naumburg Urteil vom 04.04.2014, Az. 10 W 12/14 (Abl))
Handynutzung eines Richters während der Verhandlung
Die Verteidigung machte die Besorgnis der Befangenheit geltend, da eine Richterin während der Vernehmung eines Zeugen am vierten Hauptverhandlungstag über einen Zeitraum von etwa zehn Minuten
mehrfach ihr Mobiltelefon bedient habe.
In der Stellungnahme zum Befangenheitantrag gab die Richterin an: „Die an diesem Tag erwartete Sitzungszeit sei bereits deutlich überschritten gewesen. Einen (stummen) Anruf von zu Hause habe sie mit einer vorgefertigten SMS des Inhalts „Bin in Sitzung“ beantwortet; eine weitere dringende SMS-Anfrage bezüglich der weiteren Betreuung der Kinder habe sie „binnen Sekunden“ beantwortet.“
Auch aus der Sicht eines besonnenen Angeklagten gab die private Nutzung des Mobiltelefons durch die beisitzende Richterin während laufender Hauptverhandlung begründeten Anlass zu der Befürchtung, die
Richterin habe sich mangels uneingeschränkten Interesses an der dem Kernbe-
reich richterlicher Tätigkeit unterfallender (vgl. § 261 StPO) Beweisaufnahme
auf ein bestimmtes Ergebnis festgelegt.
Da es sich auch nicht um ein unbedachtes Verhalten der abgelehnten
Richterin handelt, das durch Klarstellung und Entschuldigung beseitigt werden
kann (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 3. März 1999 – 5 StR 566/98, BGHR
StPO § 338 Nr. 3 Revisibilität 1), durfte das Ablehnungsgesuch nach alledem
nicht zurückgewiesen werden.
(BGH, Urteil vom 17.06.2015 – 2 StR 228/14)
Ehegatte des Richters in Kanzlei einer Partei tätig
Ein Richter kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden,
wenn sein Ehegatte als Rechtsanwalt in der Kanzlei eines der Prozessvertreter tätig ist.
Zitat aus dem Beschluss des BGHs: „Dafür genügt es, dass die Umstände geeignet sind, der Partei Anlass zu begründeten Zweifeln zu geben, da es bei den Vorschriften der Befangenheit von Richtern darum geht, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität zu vermeiden (BVerfGE, 108, 122, 126 = NJW 2003, 3404, 3405). Die Vorschriften dienen zugleich der Verwirklichung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruchs der Parteien, nicht vor einem Richter stehen zu müssen, dem es an
der gebotenen Neutralität fehlt (vgl. BVerfGE 89, 28, 36; BGH, Urteil vom
15. Dezember 1994 – I ZR 121/92, NJW 1995, 1677, 1678).
b) Gemessen daran ist das auf die Tätigkeit der Ehefrau des Richters in
der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers gestützte Ablehnungsge-
such der Beklagten begründet. Schon die besondere berufliche Nähe der Ehe-
frau des Richters zu dem Prozessbevollmächtigten des Gegners gibt der Partei
begründeten Anlass zur Sorge, dass es dadurch zu einer unzulässigen Einflussnahme auf den Richter kommen könnte. Auch wenn grundsätzlich davon
auszugehen ist, dass Richter über jene innere Unabhängigkeit und Distanz ver-
fügen, die sie befähigen, unvoreingenommen und objektiv zu entscheiden, ist
es einer Partei nicht zuzumuten, darauf zu vertrauen, dass eine unzulässige
Einflussnahme durch den Gegner unterbleiben wird, und den Richter erst dann
abzulehnen, wenn dies doch geschieht und ihr das bekannt wird (zur Begründetheit einer Ablehnung in diesem Falle: vgl. KG, NJW-RR 2000, S. 1164).
(BGH Beschluss vom 15.03.2012, Az. V ZB 102/11)
Nachlässiges Lesen von Schriftsätzen begründet Befangenheit
Der Vorsitzende Richter am Landgericht hatte sich bei Eingang eines umfangreichen Anwaltsschriftsatzes nur das Inhaltsverzeichnis angesehen und dadurch einen Befangenheitsantrag übersehen, kurze Zeit später übersah er auch noch einen weiteren Antrag.
Das OLG sah dadurch die Befürchtung als begründet an, der Richter werde auch bei einer späteren Sachentscheidung das Vorbringen der Partei ebenfalls nicht in angemessener Weise bearbeiten.
ZItat: „Auch wenn man von einem offenkundigen Versehen des abgelehnten Richters ausgehen sollte, bestehen aus der Perspektive der Beklagten vernünftige Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters. Denn das Versehen ist nur durch
evident mangelnde Sorgfalt des Richters erklärbar“… „Die Fehler des abgelehnten Richters rechtfertigen aus der Perspektive der Beklagten die Befürchtung, dass der abgelehnte Richter auch bei der weiteren Verfahrensführung, insbesondere bei einer späteren Entscheidung in der Sache, Vorbringen und Standpunkte der Beklagten nicht ausreichend berücksichtigen und ernst nehmen könnte.“
(Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 11. Mai 2022, Az. 9 W 24/22)
Reaktion auf Befangenheitsantrag kann Befangenheit begründen
Ein Ablehnungsgesuch ist auch dann gerechtfertigt, wenn die Reaktion des abgelehnte Richter auf das Ablehnungsgesuch unangemessen ist. Das ist der Fall, wenn der Richter auf das Ablehnungsgesuch eine so negative Haltung erkennen läßt, dass darauf geschlossen werden kann, dass diese Haltung sich auf das weitere Verfahren auswirkt.
Zitat: „In ihrer dienstlichen Stellungnahme führt sie zum einen aus, dass es sein könne, dass in ihrem Gesicht ein schmerzhaftes Zucken zu erkennen gewesen sei. Damit räumt sie ein, dass der Vortrag des Klägers hinsichtlich ihrer Mimik und Gestik in den Sitzungsterminen nicht völlig aus der Luft gegriffen war, sondern dass bei ihr ein auffälliges Verhalten vorhanden gewesen sein kann, auch wenn sie dieses Verhalten anders begründet als der Kläger. Zum anderen erklärt sie, sie sei entrüstet gewesen über das Ablehnungsgesuch des Klägers, was jeder Anwesende hätte tatsächlich erkennen bzw. wahrnehmen können. Damit bestätigt sie ebenfalls eine Reaktion auf das Ablehnungsgesuch des Klägers, auch wenn sie nicht wie vom Kläger vorgetragen von einem Lachen spricht. Durch ihre Wortwahl („entrüstet“) bringt sie dabei zum Ausdruck, dass sie emotional negativ auf das Ablehnungsgesuch des Klägers reagiert hat. Es ist nicht auszuschließen, dass sie diese negative Haltung gegenüber dem Kläger, die sie auch noch in ihrer einige Tage nach der Sitzung vom 18.07.2018 abgegebenen Stellungnahme zum Ausdruck gebracht hat, während des weiteren Verfahrens und bei einer späteren Entscheidung über die Klage ablegen wird können. Denn nach ihrer eigenen Aussage in ihrer dienstlichen Stellungnahme war ihre Mimik und Gestik aus ihrer Sicht erklärungsbedürftig, so dass ihre Entrüstung über das Ablehnungsgesuch des Klägers keine nachvollziehbare Reaktion darstellt. Zwar ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Richterin um eine ehrenamtliche Richterin handelt und die Situation, in der das Ablehnungsgesuch angebracht wurde, nach Aktenlage nicht unproblematisch war. Dennoch erscheint es aus Sicht eines Beteiligten möglich, dass sich ihre im Zuge des Ablehnungsgesuchs geäußerte negative Haltung gegenüber dem Kläger nicht lediglich auf das Ablehnungsverfahren begrenzt, sondern auch Auswirkungen auf das weitere Verfahren bis hin zur Entscheidung über die Klage haben kann.“
(VG Stuttgart, Beschluss vom 25.09.2018, Az. 7 K 5243/15)
Langjährige Freundschaft einer Partei zum Ehegatten des Richters
Die Besorgnis der Befangenheit wird dadurch begründet, dass zwischen dem Ehegatten des abgelehnten Richters und einer Prozesspartei eine enge bzw. langjährige Freundschaft besteht.
Ziat: „Gründe in der Person eines anderen als der Partei lassen die Unvor-
eingenommenheit eines Richters dann zweifelhaft erscheinen, wenn Anlass zu
der Besorgnis besteht, dass sich das Verhältnis zu dem Dritten auf die Einstel-
lung des Richters zu einem Prozessbeteiligten oder zum Gegenstand des Ver-
fahrens auswirkt (vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 2011 – II ZR 237/09, WM
2011, 812 Rn. 2; Beschluss vom 15. März 2011 – II ZR 244/09, NJW-RR 2011,
648 Rn. 2). Ein Dritter in diesem Sinne ist der Ehegatte des abgelehnten Richters.“…“Auch eine nahe persönliche Beziehung des Ehegatten des Richters zu
einer Partei kann geeignet sein, die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangen-
heit zu rechtfertigen. Das ist danach zu beurteilen, ob die persönliche Beziehung
eine Qualität hat, die – unterhielte sie der Richter zu der Partei – bei vernünftiger
Betrachtung die Besorgnis der Befangenheit begründete. Das ist bei einer engen
bzw. langjährigen Freundschaft mit einer Prozesspartei der Fall.“
(BGH Urteil vom 19.11.2020, Az. V ZB 59/20)
Hinweis auf Verjährung als Befangenheitsgrund
Ein Hinweis des Gerichts zur Verjährung eines Anspruchs ist ein ausreichender Anlass, den hinweisenden Richter wegen Befangenheit abzulehnen.
Zitat: „Soweit sich der abgelehnte Richter schließlich in seiner dienstlichen Äußerung darauf beruft, er sei nach Einsicht in die Kommentierung bei Palandt davon ausgegangen, er dürfe einen entsprechenden Hinweis erteilen, führt dies zu keiner anderen Bewertung. Der Ablehnungsgrund entfällt regelmäßig nicht deshalb, weil das Verhalten des Richters jedenfalls vertretbar gewesen wäre (BGH NJW 2004, 164). Der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 02.10.2003 (a.a.O.) dazu ausgeführt, bei einem Hinweis darauf, dass ein selbstständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel in den Prozess eingeführt werden kann, müsse, wegen der eklatanten Gefahr, von einer Gleichbehandlung der Parteien abzuweichen, an die Vertretbarkeit des Hinweises strenge Anforderungen gestellt werden. Anderenfalls wäre es dem Richter an die Hand gegeben, über die Grenzen seiner Neutralitätspflicht selbst zu entscheiden. Allein der Umstand, dass der abgelehnte Richter hier die Kommentierung bei Palandt zu Rate gezogen hat, genügt solchen strengen Anforderungen nicht.“
(BGH Beschluss vom 02.10.2003, NJW 2004, S. 164)