Glocken und Recht

Der Theologe und Philosoph Guardini bezeichnete den Klang der Glocken als Botschaft Gottes, der Weihe und der Sehnsucht; ein französischer Schriftsteller, Aurelien Scholl, als Werbung Gottes.

Bis heute ist genauso klar wie damals: Das sakrale Glockengeläut ist zunächst einmal die ureigenste Angelegenheit der Kirche und ein wesentliches Element bei der Verkündung ihres Glaubens.

Dies erkannte auch schon Kaiser Josef der II. von Österreich an, als er anlässlich eines Papstbesuches gegenüber dem seinerzeitigen Kardinal Manzini auf die Frage, ob die Glocken schon geläutet werden dürfen, geantwortet habe, dass das völlig der Kirche überlassen bleibe, die Glocken seien schließlich „ihre Artillerie“ und nicht seine.

Das Selbstbestimmungsrecht und die Unabhängigkeit der Kirche haben bis heute Verfassungsrang auch in der Bundesrepublik Deutschland (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV, Art. 4 Abs. 2 GG).

Kirchenglocken werden somit seit langer Zeit nach einer Ordnung geläutet, die sich die Kirche selber gibt und in welcher festgehalten wird, zu welchem Anlass eine oder mehrere Kirchenglocken geläutet werden, der sogenannten „Läuteordnung“.

Sakral begründete Geläutanlässe sind jedenfalls – neben dem oben in der Anekdote genannten Einzug des obersten irdischen Stellvertreters Jesu Christi und Hirten der Universalkirche – auch die folgenden sakralen Geläute:

– Angelusläuten – außer in der Zeit von Gründonnerstag bis Ostersonntag dreimal täglich

– Gebets- und Gedächtnisläuten – drei Mal am Tag als Gebetserinnerung (in Klöstern stündlich).

– Gottesdienstläuten – vor, während und nach einem Gottesdienst, zu allen sakramentalen Handlungen, wie Hochzeiten, Taufen etc.; teilweise beginnt das sogenannte „Einläuten“ bereits am Vorabend.

Läutezyklus der Heiligen Woche, dieserbezieht sich auf die Osterwoche, wobei es auch hierbei regionale Unterschiede bezüglich der Häufigkeit sowie der Wahl des Glockenschlags gibt.

Einen Eingriff in dieses Recht auf sakrales Läuten erlaubt sich der Staat nur im Fall der dringenden Gefahr von schweren Gesundheitsschäden in der Nachbarschaft

Eingriffe unterhalb dieser Schwelle sind aufgrund des hohen Verfassungsschutzes der Religionsausübung nur schwer vorstellbar. Die inzwischen langjährig gefestigte Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte führt dazu in Klageverfahren demnach auch mehrfach erinnernd aus, dass das liturgische Glockenläuten eine zumutbare, sozialadäquate und allgemein akzeptierte Äußerung kirchlichen Lebens ist (so schon unmissverständlich das Bundesverwaltungsgericht, im Urteil vom 07. Oktober 1983, Az. 7 C 44/81, kurz bestätigt im Beschluss vom 02.09.1996, Az. 4 B 152/96 und jüngst nochmals in einem noch kürzeren Beschluss unter Bezugnahme auf die Vorentscheidungen im Beschluss vom 19.02.2013, Az. 7 B 38/12).  

Sakrales Glockengeläut muss daher von sich gestört fühlenden Einzelpersonen oder Personengruppen – auch unter dem Gebot gegenseitiger Toleranz – grundsätzlich hingenommen werden; auf individuelle Gründe kommt es insoweit nicht an (BVerwG, Beschluss vom 19.02.2013, Az. 7 B 38/12).

Das sakrale Läuten ist daher durch die (ebenfalls) verfassungsrechtlich geschützte körperliche Unversehrtheit der Hörer sowie das verfassungsrechtlich garantierte Übermaßverbot begrenzt (Art. 2 GG, z.B. Übermaßgrenze bei schikanösem Ausüben eines garantierten Rechtes, wie bei Don Camillo, der damit Reden von Peppone auf dem Marktplatz verhindern möchte).

Der Gesetzgeber konkretisierte diese Grenzen konkret in § 22 Abs. 1 Satz 1 Bundesimmissionsschutzgesetz, um vor allem das wichtigste Übel abzuwenden, dass jemand durch das Geläute ernsthaft nachhaltig erkrankt.

Das Regelwerk der TA Lärm (Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm) ist dabei für die Beurteilung der Zumutbarkeit des Schalldrucks von Glockengeläut anzuwenden (BVerwG, Az. 7 B 38/12; BVerwG, Az. 7 C 44/81). Dabei gilt für Immissionsorte außerhalb von Gebäuden, d.h. der Wahrnehmungsort ist außerhalb des „Schall sendenden“ Gebäudes gemäß der TAE, Ziffer 6.1:

  • allgemeine Wohngebiete und Kleinsiedlungsgebiete:   55 db (06.00 Uhr bis 22.00 Uhr) 40 db (22.00 Uhr bis 06.00 Uhr)
  • in Kerngebieten, Dorfgebieten und Mischgebieten:                60 db (06.00 Uhr bis 22.00 Uhr)   45 db (22.00 Uhr bis 06.00 Uhr)
  • in Gewerbegebieten:                                                      65 db (06.00 Uhr bis 22.00 Uhr)                                                                                    50 db (22.00 Uhr bis 06.00 Uhr)

Zur Verdeutlichung: 60 bis 70 db entsprechen ungefähr dem Geräusch eines PKWs in ca. 10m Entfernung; 45 bis 55 db einem Radio/TV auf Zimmerlautstärke in 1 m Abstand.

Einzelne, kurzzeitige sogenannte „Geräuschspitzen“ können darüber hinausgehend zwar vorliegen, dürfen aber nach der TAE nicht mehr als 30 db am Tag und 20 db in der Nacht überschreiten (TAE, Ziffer 6.1).

Wenn gewerblich, industriell oder hinsichtlich ihrer Geräuschauswirkungen vergleichbar genutzte und zum Wohnen dienende Gebiete aneinandergrenzen (Gemengelage), können die oben genannten Immissionsrichtwerte, unter Beachtung der gegenseitigen Rücksichtnahme, innerhalb der vorgenannten Grenzen angemessen erhöht werden – die genannten Grenzen für Kern-, Dorf- und Mischgebiete sollen dabei nicht überschritten werden (TAE, Ziffer 6.7).

Damit keine Missverständnisse aufkommen – auch bei einem Überschreiten der Grenzwerte der TAE wäre die Lautstärke des sakralen Läutens jedoch nur abzusenken und nicht völlig zu vermeiden.

Es gibt aber auch noch den oben genannten weiteren Fall, in dem auch sakrales Geläut untersagt werden könnte, nämlich wenn die Geräuschimmissionen den Rahmen eines sozial üblichen  Läutens übersteigen (Übermaßverbot) bzw. ein Missbrauch des Läuterechts vorliegt, dies ist z.B. dadurch denkbar, dass von dem Läuterecht ein derart exzessiver Gebrauch gemacht wird, dass für den Nachbarn die Gefahr eines gesundheitlichen Schadens herbeigeführt und damit das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt würde (so BVerwG, Az. 7 B 38/12; BVerwG, Az. 7 C 44/81; LG Arnsberg, Urteil vom 24.06.2008, Az. 5 S 43/07). Für die begrenzten Fälle des sakralen Läutens (eingangs aufgezählt) sind solche Fälle eines schikanösen Übermaßes des sakralen Läutens in der Praxis kaum vorstellbar – außer vielleicht bei Don Camillo und Peppone.

Bei den in dieser Hinsicht vorstellbaren Fällen sind wir auch schon beim weltlichen Läuten angekommen, „Zeitläuten“ oder auch dem „Glockenspiel“, welches nicht auf sakraler Grundlage sondern allenfalls auf „Traditionen“ basiert und damit Nachbarn bei schlichter wechselseitiger Interessenabwägung nicht zumutbar sein könnte.

Denn solches weltliche Läuten genießt keinen besonderen verfassungsrechtlichen Kirchenschutz und diesbezügliche Klagen müssen daher werden wie normale Nachbarschaftsklagen vor den Zivilgerichten (Amtsgericht/Landgericht) behandelt werden. dabei wird zur letzten Entscheidungsfindung vom Gericht, anhand der wechselseitig geäußerten, völlig gleichberechtigten Interessen abgewogen, welches Interesse überwiegt: Nachvollziehbares Ruhebedürfnis des Einzelnen oder „Bimbam“-Wünsche der Kirche.

Es untersagte z.B. das Landgericht Arnsberg im Jahre 2008 ein für nachbarlich unzumutbar erachtetes zusätzliches „Viertelstundengeläut als einen unzumutbaren Gebrauch (Geläuteexzess) dieses von den unmittelbaren Nachbarn so empfundenen „Dauergeläutes“ annahm, die zudem beeindruckende Arztberichte vorweisen konnten (LG Arnsberg, Az. 5 S 43/07); rechnerisch dürfte es sich bei zusätzlichem Viertelstundengeläut mit den Stundenschlägen zusammen um 228 Glockenschläge pro Tag handeln.

Da half auch nicht die Flucht der Kirche in dem Verfahren in der Betonung „sakralen Mitfunktion“ des Zeitläutens als akustischer Hinweis auf die „Zeitlichkeit des Menschen“.

Nur eine sakrale Mitfunktion des Läutens ließ das Gericht nicht gelten. Die Angabe der Zeit durch Glockenschläge, wie sie auch von einem Rathausturm aus geschehen könnte, hat mit Religionsausübung auch dann nichts zu tun, wenn das Zeitläuten von dem Glockenturm einer Kirche stammt (LG Arnsberg, Urteil vom 24. Juni 2008, Az. 5 S 43/07;  so auch LG Aschaffenburg NZM 2000, 733). Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass nach dem Selbstverständnis der Kirchen die mit dem Glockenschlag bezweckte Zeitansage gleichzeitig einen Hinweis auf die Zeitlichkeit des Menschen gibt, darf nicht übersehen werden, dass das Glockengeläut seine Funktion als Zeitansage unter den heutigen Lebensbedingungen praktisch verloren hat (LG Arnsberg, Az. 5 S 43/07).

Es bleibt festzuhalten: Bei sakralem Läuten bimmelt es also gern oft und frisch gewagt – bei weltlichem Läuten ist dagegen eher Zurückhaltung angesagt.

Wenn es zu Meinungsverschiedenheiten kommt, ist beiden Parteien zunächst zu raten, es nicht gleich an die ganz „Große Glocke“ zu hängen sondern mit ihren Sorgen und Nöten mutig aufeinander zuzugehen; im Vertrauen darauf, dass die Nächstenliebe und Barmherzigkeit eine der höchsten Aufgaben der Kirche unserer Zeit ist, wie Papst Franziskus zu betonen nicht müde wird:

„Die Barmherzigkeit Gottes kommt von oben. Es ist an uns, als Amtsinhaber der Kirche, diese Botschaft lebendig zu halten, besonders in der Predigt, in den Gesten, Zeichen, in den seelsorgerlichen Entscheidungen, etwa der Entscheidung, dem Sakrament der Versöhnung Priorität einzuräumen.“

(Papst Franziskus, Begegnung mit dem Klerus der Stadt Rom, 06.03.2014, Quelle: Bistum-Regensburg  http://www.bistum-regensburg.de/glauben/papst-franziskus-in-zitaten/)